Sexualisierte Gewalt gibt es schon, seit es Menschen gibt. Selbst in der Bibel wird u.a. in 2. Samuel 13 über Inzest und einer Vergewaltigung berichtet. Auch in Märchen wie z. B. ‚Allerleirauh‘ wird über einen König berichtet, der sich in seine Tochter ‚verliebt‘ und sie heiraten will. Sexuelle Übergriffe an Frauen, Kindern und Männern gehören weltweit zum Alltag werden u.a. als Kriegswaffe eingesetzt, um den Feind gefügig zu machen und seine Kampfmoral zu schwächen.
Selbst Sigmund Freud griff bereits in 1896 in einem Vortrag „Über die Aetilogie der Hysterie“ die Traumatik der frühen sexualisierten Traumatisierung auf und beschrieb einige typische Folgen, die er zeitbedingt der Hysterie zuordnete (Sachsse, U. Venzlaff, U. Dulz, B.: 100 Jahre Traumaätiologie, a.a.O. S. 21). Dafür wurde er angegriffen und isoliert, so dass er seine wichtigen Erkenntnisse in der Folge revidierte und umdeutete – eine verhängnisvolle Entwicklung für Frauen, die das Opfer zur Täterin machte.
Mit den Enthüllungen über den Medien-Mogul Harvey Weinstein begann im Oktober 2017 die #Me-Too-Debatte in den Medien. Folge war eine weltweite Debatte über sexuelle Belästigung und Gewalt gegenüber Frauen, die bis heute anhält. Frauen, Kinder und auch Männer erleben auch in Deutschland tagtäglich sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt.
Aus einer Zusammenfassung der Polizeilichen Kriminalstatistik, die 2021 veröffentlicht wurde, wurde von 74,2 Prozent der befragten Frauen (3 von 4) angegeben, im Laufe ihres Erwachsenenlebens sexuell belästigt worden zu sein.
Insgesamt hat 29,5 Prozent der Frauen in ihrem Erwachsenenalter sexuelle Gewalt erlebt, das ist etwa jede dritte Frau.
Sieben Prozent der befragten Frauen gab an, eine Vergewaltigung erlebt zu haben; weitere 8,9 Prozent berichteten von einer versuchten Vergewaltigung. Das sind nur die Fälle, die aktenkundig geworden sind.
Dazu kommt, dass 42 Prozent von erwachsenen Frauen psychische Gewalt erleben, die von Einschüchterung, aggressivem Anschreiben, Verleumdungen, Drohungen, Demütigungen bis hin zu Psychoterror reicht. 25 Prozent der in Deutschland lebenden Frauen erleben Gewalt durch aktuelle oder frühere Beziehungspartner (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in 2004).
Das Dunkelfeld, d.h. die Zahl der nicht polizeilich bekannten Fälle, ist weitaus größer. Forschungen aus den vergangenen Jahren haben ergeben, dass etwa jede/r siebte bis achte Erwachsene in Deutschland sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten hat. Unter den Frauen ist jede fünfte bis sechste Frau betroffen. Zudem haben Frauen eher schwere sexuelle Übergriffe erfahren. Nach (nur eingeschränkt) vorliegenden Erkenntnissen ist anzunehmen, dass sexuelle Gewalt am häufigsten innerhalb der engsten Familie stattfindet sowie im sozialen Nahraum, zum Beispiel im erweiterten Familien- und Bekanntenkreis, durch NachbarInnen oder Personen aus Einrichtungen oder Vereinen, die die Kinder und Jugendlichen gut kennen.
Die Folgen von sexuellen Übergriffen (insbesondere in Kindheit und Jugend) sind traumatisch und erfordern eine achtsame traumatherapeutische Unterstützung, um die Überlebenden dabei zu unterstützen, die Symptome ihrer Traumatisierung zu verstehen, Stabilisierung zu erfahren und Strategien für Krisenzeiten zu entwickeln. Aus der Erfahrung der jüngsten Vergangenheit wurden Betroffene ‚verdächtigt‘ nur so zu tun und dabei unterstellt, dass ihre Geschichten erfunden sind und ihrer Einbildung entspringen. Das Leiden der Betroffenen verdient Respekt und Fürsorge und idealerweise kann ich als ausgebildete Traumatherapeutin mit meinen KlientInnen ein Stück des Weges der Heilung gemeinsam gehen. Im therapeutischen Prozess geht es nicht nur um Glaubwürdigkeit meiner KlientInnen, sondern auch darum, dass wir gemeinsam auf das schauen, was gewesen ist. Jede/r, die/der sexuelle Übergriffe in der Kindheit erlebt hat, musste oft die Erfahrung machen, dass es auch in der Familie genügend Menschen gab, die weggeschaut haben. Das macht hilf- und machtlos und lässt Betroffene an sich selbst und anderen wie verzweifeln.
Für Betroffene, die sexuelle Übergriffe als Minderjährige in ihrer Kindheit und Jugend in ihrer Familie, im familiennahen Bereich (z. B. Umfeld wie Nachbarn, Freunde der Familie) oder im institutionellen Kontext erleben mussten, gibt es einen Fonds vom Bundesamt für Familie und zivile Angelegenheiten in Berlin (https://www.fonds-missbrauch.de/), der nach einem (positiven beschiedenen) Antrag die Kosten für eine Traumatherapie übernimmt, wenn diese von der Krankenkasse nicht übernommen werden. Bitte beachten Sie, dass Sie diesen Antrag nicht alleine ausfüllen, sondern immer gemeinsam mit einer spezialisierten Beratungsstelle und / oder einer/em TherapeutIn Ihrer Wahl.
Für die meisten Betroffenen, die in insbesondere in ihrer Kindheit sexuelle Übergriffe erlebt haben, bietet eine Traumatherapie das eigene Erleben und damit die Geschichte aufzuarbeiten und um im Leben wie weiterzukommen und dann ‚wirklich‘ zu leben. Im therapeutischen Prozess geht es darum, nicht an der ‚Beschädigung‘ festzuhalten, sondern die Aufmerksamkeit darauf zu richten, was den/ die Betroffene/n hat überleben lassen und welche Stärken sich dadurch entwickelt haben, die unter Umständen vorher nicht sichtbar waren.